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Frischer Wind für vertikale Windräder

Kompakter und leiser als klassische Windräder
Frischer Wind für vertikale Windräder

Frischer Wind für vertikale Windräder
Sébastien Le Fouest mit seiner motorisierten und mit Sensoren ausgestatteten Miniaturwindkraftanlage mit vertikaler Rotationsachse. Bild: Alain Herzog / EPFL

Um den Bau von mehr Windkraftanlagen in der Schweiz zu ermöglichen, optimieren Forschende Modelle mit senkrechten Rotoren. Sie sind kompakter und leiser als klassische Windräder.

Die niedrigere Stromproduktion von Solaranlagen und Stauseen im Winter ist eine der grossen Herausforderungen für die Energiewende in der Schweiz. Windkraftanlagen, deren Wirkungsgrad sich in der kalten Jahreszeit verdoppelt, könnten deswegen beim Umstieg auf erneuerbare Energien eine entscheidende Rolle spielen. Da sie allerdings viel Platz benötigen und laut sind, ist es schwierig, neue Standorte für sie zu finden – insbesondere hierzulande, wo die städtische Dichte hoch ist und unbewohnte Gebiete oft steil und damit ungeeignet sind oder unter Schutz stehen.

Das Team von Karen Mulleners, die vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützt wird, arbeitet an einer alternativen Lösung, um die Windenergie auszubauen. Die Forscherin von der EPFL interessiert sich für Windkraftanlagen mit vertikaler Drehachse, sogenannte Windkraftanlagen vom Typ H. Deren Rotorblätter stehen senkrecht zum Boden und drehen sich wie ein Karussell um die zentrale Achse. Durch diese Bauart benötigen sie bei gleicher Rotorblattlänge nur einen Drittel des Platzes im Vergleich zu einem klassischen Windrad. Sie sind zudem dreimal leiser und dank der langsameren und besser abschätzbaren Rotation weniger gefährlich für Vögel. Damit eignen sie sich sowohl für die Verdichtung bereits bestehender Windparks als auch für Anlagen, die sich näher an städtischen Gebieten befinden.

Bislang aber stand die Entwicklung dieser Windräder vor einer physikalischen Herausforderung: dem sogenannten dynamischen Strömungsabriss. Dieses Phänomen kann auftreten, wenn Bewegung und Geschwindigkeit der Luft sich so ändern, dass die Strömung nicht mehr der Krümmung eines Objekts folgt. Es entstehen dann in einem Sog dahinter Wirbel und Turbulenzen. Bei Windkraftanlagen kommt es zu diesem Phänomen, wenn der Winkel zwischen Wind und Rotorblatt zu gross wird, was besonders bei vertikalen Modellen der Fall ist, sobald der Wind eine bestimmte Geschwindigkeit erreicht. In einer Studie zeigt das Lausanner Team, wie dieses Problem gelöst werden kann.

Komplexe Anlage im Miniaturformat

Karen Mulleners will den dynamischen Strömungsabriss von vertikalen Windkraftanlagen begrenzen, indem sie mit ihrem Team Windräder mit beweglichen Rotorblättern entwickelt. Dank Motoren sollen die Rotorblätter der sich drehenden Anlage immer in der idealen Neigung zum Wind stehen. «Ein Schiff braucht eine Crew, die die Segel ausrichtet, um den Kurs zu halten. Stattet man die Rotorblätter von Windkraftanlagen mit kleinen Motoren aus, stellt man ihnen quasi einen Kapitän zur Seite, sodass auch sie sich den Bedingungen anpassen können», sagt Sébastien Le Fouest, Mitarbeiter von Karen Mulleners und Erstautor der Studie.

Dazu muss man wissen, welche Neigung des Rotorblattes eine optimale Rotation ermöglicht. Solche Probleme lösen Labore üblicherweise mit Computersimulationen. Das ist nicht ideal, da die Strömungen um eine Windkraftanlage des Typs H in Abhängigkeit vom Wind erzeugt werden und nur schwer vorherzusagen sind. Das Team in Lausanne hat sich deswegen entschieden, eine Anlage im Miniaturformat mit einem einzigen Rotorblatt zu bauen. Dabei haben die Forschenden auch Sensoren angebracht, um die im Strömungskanal erzeugte Energie zu messen.

Zusätzlich wurden die Kräfte, denen die einzelnen Komponenten des Windradmodells ausgesetzt sind, und die Flugbahnen der Luftpartikel berechnet. Mit diesem besonderen Versuchsaufbau konnten die Forschenden bestimmen, wie sich die unterschiedlichen «Tänze des Windrades», wie Sébastien Le Fouest die Bewegungen gerne nennt, auswirken. «Ich erhalte innerhalb einer Minute Messungen, für die eine Simulation drei Wochen brauchen würde», so der Forscher. Es hat sich deshalb für ihn gelohnt, dass er fast drei Jahre in die Entwicklung dieses Testsystems investiert hat. «Diese Art experimenteller Optimierung sieht einfach aus, aber sie ist das Ergebnis von aussergewöhnlichem, kollektivem Engagement», ergänzt Karen Mulleners.

Verdreifachung des Wirkungsgrades

Nachdem das System ausgearbeitet war, testeten die Forschenden Tausende von Windbedingungen mithilfe eines sogenannten genetischen Algorithmus. So konnten sie bestimmen, wie stark sich die Rotorblätter anpassen sollen, um den optimalen Kompromiss zwischen höchstem Stromertrag und Lebensdauer der Windanlage zu erreichen. Insgesamt kann der Wirkungsgrad der Anlage im Labor so um das Dreifache gesteigert werden. Um diese Zahlen auf industriellen Massstab zu übertragen, muss aber mit mehreren Rotorblättern und der realen Grösse gerechnet werden. «Unsere Daten zeigen, dass man sehr wahrscheinlich die Lebensdauer und den Wirkungsgrad traditioneller Windkraftanlagen erreichen oder sogar übertreffen könnte», sagt Sébastien Le Fouest. Eine Vermutung, die der Forscher mithilfe einer BRIDGE-Förderung des SNF und von Innosuisse nun überprüfen will. Bereits wurde eine Zusammenarbeit mit einem Unternehmen in der Schweiz in die Wege geleitet, um die Ergebnisse an einem industriellen Prototyp zu testen. (Nature Communications, 2024; doi: 10.1038/s41467-024-46988-0)

Quelle: Schweizerischer Nationalfonds SNF

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