Die globale Halbleiter-Knappheit wird für die Automobil-Industrie und viele andere Branchen voraussichtlich über das Jahr 2022 hinausgehen. In der Auto-Branche werden hauptsächlich Chips der älteren Generation eingesetzt – und diese sind besonders knapp. Entlastung gibt es kaum, weil zusätzliche Fertigungs-Kapazitäten vorrangig in neueren Generationen aufgebaut werden. Das zeigt eine aktuelle Studie des Beratungs-Unternehmens Roland Berger.
„Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage von Halbleitern wird immer größer“, sagt Michael Alexander. Der Partner bei Roland Berger sieht in nächster Zeit keine Besserung.
Denn: der Engpass habe strukturelle Gründe. Diese lägen in der aktuellen Ausgestaltung der Lieferketten. „Die Knappheit der Chips wird bis in das Jahr 2023 – und wahrscheinlich darüber hinaus – bestehen bleiben“, vermutet Alexander. „Die angekündigten zusätzlichen Kapazitäten reichen nicht aus, um den Bedarf zu decken.“
Chip-Nachfrage übertrifft Produktions-Kapazität deutlich
Bei Roland Berger rechnen die Experten damit, dass die Chip-Nachfrage von 2020 bis 2022 um 17 Prozent pro Jahr steigt. Das Problem: Die Produktions-Kapazität legt im selben Zeitraum um nur sechs Prozent pro Jahr zu.
Logik (40nm-Knoten und älter), Analogchip und MEMS sind die Halbleitersegmente, in denen die Analysten die längste Knappheit erwarten. Eine zügige Ausweitung der Produktion sei dabei kaum möglich: Die Halbleiter-Fabriken sind derzeit bereits durchschnittlich zu 97 Prozent ausgelastet.
Einige Autobauer stellen darüber hinaus bereits jetzt ihren Ansatz um: von ‚Just-in-Time‘ auf ‚Just-in-Case‘. Dabei bauen sie Bestände von Halbleitern auf. Dies verschärft den Versorgungsengpass kurzfristig zusätzlich.
Halbleiter-Knappheit: Transformation in der Architektur
Neue Fertigungs-Kapazitäten werden den massiven Versorgungs-Engpass in der Auto-Industrie nicht lösen, vermuten die Analysten. Der Grund: die Investitionen konzentrieren sich insbesondere auf Hochleistungschips der neusten Generation.
Der größte Mangel besteht jedoch derzeit bei den Chips der älteren Generationen – mit Fertigungstechnik aus den 1990er und 2000er Jahren. Sie stellen mit rund 95 Prozent der verbauten Halbleiter den Löwenanteil in den aktuellen Elektronik-Architekturen von Verbrennern dar. Chips der neuesten Generation machen hingegen nur fünf Prozent Prozent aus.
Die Automobil-Industrie ist bereits dabei, auf neue elektronische Fahrzeug-Architekturen umzustellen. Traditionelle Hersteller würden dafür jedoch noch mehr als fünf Jahre benötigen, schätzen Experten, die Roland Berger für die Studie befragt hat.
Halbleiter-Kunden müssen ihre Strategie anpassen
Unternehmen, die auf Halbleiter angewiesen sind, sollten die Krise aktiv adressieren. Hierzu zählen technische Maßnahmen wie ein schnellerer Wechsel auf zentralisierte/zonale E/E-Architekturen.
Zudem sollten sie mit Halbleiter-Unternehmen direkte, langfristige Lieferverträge abschließen – die wechselseitige Kapazitäts-Zusagen und Abnahmeverpflichtungen über mehrere Jahre enthalten.
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„Langfristig müssen OEMs und Zulieferer ihre Design-Philosophie anpassen, um mit den dynamischen Kapazitätsveränderungen in der Halbleiterindustrie Schritt zu halten. Die Bewältigung der Krise erfordert strategische Maßnahmen“, sagt Thomas Kirschstein, Principal bei Roland Berger. (wag)