Kunden wünschen sich immer individuellere Produkte. Doch es ist schwierig, Industrie- und Konsumgüter mit hohem Individualisierungsgrad und Qualitätsanspruch in kleineren Stückzahlen wirtschaftlich und konkurrenzfähig herzustellen. Forscher am KIT entwickeln dafür ein Produktionsplanungs-System, das Produktivität und Genauigkeit von Spezialmaschinen mit der Flexibilität von Industrierobotern kombiniert.
Sicher: Unternehmen, die auf die Nachfrage nach größerer Varianten-Vielfalt ihrer Produkte reagieren, haben einen Wettbewerbsvorteil. Aber: ihre Preise müssen sich mit denen von Konkurrenzprodukten aus hocheffizienter, automatisierter und starrer Produktion messen.
Die Unternehmen stehen also vor Wahl: Starre Produktionslinien und hohe Produktivität – oder flexible Fertigung und niedrigere Effizienz. Das Forschungsprojekt Wertstromkinematik will diesen Konflikt aufbrechen und hohe Flexibilität mit hoher Produktivität verbinden.
Dabei verfolgt Wertstromkinematik einen neuen Produktionsansatz: „Geeignete Produktionssysteme, die sich durch hohe Flexibilität und hohen Automatisierungsgrad gleichermaßen auszeichnen, existierten bisher nicht oder nur in Ansätzen. Unser Ansatz schließt diese Lücke“, sagt Edgar Mühlbeier vom wbk Institut für Produktionstechnik des KIT. Er koordiniert die Entwicklung des neuen Produktionssystems.
Wertstromkinematik: Eine Revolution in der Produktionslandschaft?
„Die Wertstromkinematik könnte die heutige Produktionslandschaft revolutionieren“, sagt Professor Jürgen Fleischer, Leiter des wbk und Initiator des Produktionsansatzes.
Doch was genau ist am neuen Produktionsansatz so revolutionär? Große Hallen könnten überflüssig werden. Lange Lieferketten könnten der Vergangenheit angehören. Produktionsausfälle aufgrund von Lieferengpässen könnten verhindert werden.
Covid-19 hat deutlich gemacht, wie schnell die Bänder stillstehen können, wenn Nachschub für die Produktion aus dem Ausland nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. „Wären unsere flexiblen Systeme im Einsatz, könnten regionale Betriebe im näheren Umkreis einspringen und die fehlenden Teile fertigen“, versichert Fleischer und nennt weitere Vorteile: „Die Reduzierung von Transportwegen wäre zudem umwelt- und ressourcenschonend.“
Aufbau macht häufige und flexible Neuanordnung möglich
Das System ist aus mehreren einheitlichen und frei konfigurierbaren Einzel-Einheiten (Kinematiken) aufgebaut. Sie führen die in der Robotik üblichen Handhabungs-Aufgaben aus. Darüber hinaus sind sie in der Lage, diverse Fertigungswerkzeuge anzudocken. Dadurch können die Roboter Prozesse wie Montage, additive Fertigung, Trenn- und Fügeverfahren sowie Zerspanungsaufgaben und Qualitätssicherung vollautomatisch und innerhalb eines vielschichtigen Produktionsflusses selbst ausführen.
„Dieser Aufbau ermöglicht eine häufige und flexible Neuanordnung des Produktionssystems, ohne dass kostspielige zusätzliche Anlagen hinzugekauft werden müssen“, erklärt Mühlbeier. Jetzt muss das neue System gegenüber herkömmlichen Vertikalknickarm-Robotern optimiert werden , insbesondere hinsichtlich ihrer Steifigkeit.
Die Forscher wollen mithilfe von Getriebe-Technologien und Software-Unterstützung zum Beispiel eine auf wenige hundertstel Millimeter genaue Bahnführung beim Fräsen erreichen. Dabei müssen die einzelnen Arbeitsschritte, die Schnittgeschwindigkeiten und der Krafteinsatz genau geplant werden.
„Die Besonderheit unseres Produktionssystems ist: Die einzelnen Einheiten lassen sich koppeln, um zu kooperieren“, erläutert Mühlbeier. Dadurch könnten sie heutige Spezialmaschinen für bestimmte Aufgaben und Prozesse ersetzen. Nach Erledigung der Aufgabe lassen sie sich wieder entkoppeln und getrennt einsetzen. Auf diese Weise könnten Unternehmen die Zahl der Produktionsmaschinen senken.
Wertstromkinematik: Schneller Aufbau, kurze Inbetriebnahmezeit
Die exakte Positionierung der flexiblen Wertstromkinematiken im Raum ermögliche ein Raster, das sich über die gesamte Produktionsfläche erstrecke, „vergleichbar einer Legoplatte, auf der sich die Bausteine beliebig feststecken lassen“, so Mühlbeier.
Die Forscher konnten so den Aufbau des Produktionssystems erheblich beschleunigen. Eine Engineering-Plattform soll auch Ingenieure in mittelständischen Unternehmen webbasiert und plattformunabhängig unterstützen: vom Entwerfen eines Produkts im CAD über die Planung von Anzahl, Anordnung und Koppelung der Kinematiken bis zur Simulation und Feinjustierung des Produktionssytems.
Das KIT arbeitet bei der Entwicklung mit Siemens im Bereich Steuerungstechnik und dem Werkzeugmaschinen-Hersteller Grob als Hardware-Entwickler und Integrator zusammen.
„Produktionstechnologien müssen den sich ändernden Bedingungen des Marktes und den stetig steigenden technologischen Anforderungen gerecht werden. Unser Ziel ist, für neue Prozesse und Anforderungen innovative Lösungen zu identifizieren und zu entwickeln“, sagt Fleischer. (wag)
Karlsruher Institut für Technologie
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